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Wie wird man 100?
Was wir von der Langlebigkeit der Hochbetagten lernen könnten?

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Die Menschen werden immer älter. Manche Hochrechnungen versteigen sich sogar auf das Versprechen: Wir gehen auf die 100 zu. Rein statistisch: vielleicht. Doch die Erfahrungen des praktischen Alltags korrigieren schnell: mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Die Medizin mag uns zwar unterstützen, doch unser Lebensstil und damit die von uns ausgelösten Zivilisationskrankheiten ruinieren wieder die meisten Fortschritte.

Müssen wir deshalb resignieren? Das nicht, aber wir sollten lernen. Am besten von denen, die es geschafft haben, 100 Jahre alt und mehr zu werden. Wer kann ein besserer Berater sein als derjenige, der es tatsächlich erreicht hat, das „biblische Alter“.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zum Thema: Was wir von der Langlebigkeit der Hochbetagten lernen können. Dazu gab es schon vor über einem Vierteljahrhundert eine interessante Untersuchung, über die nachfolgend kurz berichtet werden soll.

Wer möchte nicht alt werden – wenn die Bedingungen stimmen: Gesundheit (unser höchstes Gut!), keine wirtschaftlichen Sorgen, anregendes Umfeld usw. Gibt es dazu nützliche „Anleitungen“, zumindest aber Hinweise und Empfehlungen?

Die gibt es – zahlreich, seit Menschengedenken. Ob sie dann auch wirklich halten, was sie versprechen (möglicherweise sogar noch gegen gutes Geld), das ist eine andere Frage. Auf jeden Fall kann es nicht schaden, sich zu informieren. Aber wo?

Am besten dort, wo diese Erfahrung eigentlich zu Hause sein müsste. Und das können schon die entsprechenden Fachleute sein, wenn auch theoretisch (und natürlich erfahren wir dann auch nie, ob sie es denn wenigstens selber bis zu einem respektablen Alter geschafft haben). Viel nahe liegender aber ist eine andere Lösung: Was empfehlen uns die Hochbetagten selber? Ist es ergiebig, wenn man sich auf die Spuren der Langlebigkeit setzt?

Aber sicher. Nur wiederum ein weiteres Problem: Wo am besten? In schlauen Fachbüchern? In Zeitungsartikeln, Rundfunkberichten, Fernsehsendungen? Gewiss, aber Fachbücher sind oft schwer lesbar und die Berichte der Medien zwar verständlich, aber kurz, notgedrungen nicht sehr detailliert und sich meist an aktuellen Ereignissen orientierend, z. B. neuen Statistiken oder spektakulären Jubiläen einzelner Höchstbetagter. Was fehlt, wenn man sich ein wenig tiefer einlesen will, ist eine Übersicht über die Langlebigkeit aus der Feder eines Fachmanns, aber allgemein verständlich und praxisbezogen. Und am besten die Summe der Erfahrungen aus einer respektablen Zahl von über Hundertjährigen, gleichsam eine Anleitung zur Langlebigkeit aus der Sicht eines in der Tat „gelebten-Experten-Lebens“.

Aber gibt es das? Es gibt es, auch wenn es schon eine Weile her ist, und zwar aus der zweiten Hälfte des vorherigen, des 20. Jahrhunderts. Einzelheiten dazu später. Zuvor einige allgemeine Aspekte.

Wie alt wird „man“ heute?

Die Menschen werden immer älter. Das hört man jeden Tag, gefolgt von den entsprechenden Vor- und Nachteilen für die Betroffenen (Gesundheit), ihre Angehörigen (Pflege), die Rente (immer schwerer abzusichern), ja sogar für die Volkswirtschaft (Kosten). In Deutschland dürfen nach neuesten Untersuchungen inzwischen neugeborene Jungen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 77, neugeborene Mädchen von 82,7 Jahren erwarten (andere Berechnungen liegen etwas darunter, aber die Gesamt-Entwicklung ist erfreulich).

Das ist faszinierend, besonders wenn man dies mit den Daten von vor hundert bis zweihundert Jahren vergleicht, von früheren Kulturen ganz zu schweigen (im Römischen Reich durfte der Durchschnitt mal gerade auf drei Lebensjahrzehnte hoffen, vor 200 Jahren soll es auch in Deutschland nicht viel besser ausgesehen haben). Und das Spektakulärste: Die Zahl der Hoch-, ja Höchstbetagten nimmt ebenfalls zu. Das ist inzwischen so an der Tagesordnung, dass man kaum mehr Notiz davon nimmt.

Dabei gab es das natürlich schon immer. Allerdings vor allem dort, wo keine exakten Nachprüfungen verfügbar waren, ja nicht einmal eine authentische Geburtsurkunde. So hört(e) man von uralten japanischen Fischern, Teepflückerinnen aus Georgien, Indianern aus Nord- und Südamerika, Bauern aus dem Südkaukasus u.a.m. Wenn man den Medien-Berichten folgen dürfte, sprengt das (scheinbare) Höchstalter immer mal wieder alle Rekorde – aber meist nicht nachprüfbar. Will man aber schließlich der Sache konkret auf den Grund gehen, muss man erst einige Begriffe ordnen und die Ergebnisse vergleichbar machen.

Langlebigkeit – was heißt das?

Dass ein langes Leben den Menschen seit Anfang an beschäftigt, geht schon aus dem Alten Testament, dem Talmud, dem Koran, den Lehren von Konfuzius und Buddha u. a. hervor. Und später natürlich aus den Werken der Philosophen, Künstler, Dichter und den Studien zahlloser Wissenschaftler von der Antike bis heute. Exakte Statistiken aber gibt es eigentlich erst seit dem 20. Jahrhundert. Und diese beweisen: Wir werden tatsächlich älter und erreichen immer häufiger ein hohes Alter.

Das geht vor allem auf die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit zurück (wie bereits erwähnt: die Lebenserwartung eines Neugeborenen im antiken Griechenland und alten Rom lag zwischen 20 und 30 Jahren; d.h. es gab zwar schon damals alte und sogar sehr alte Menschen, aber der frühe Tod im Kindesalter bestimmte natürlich das statistische Mittel und drückte die allgemeine Lebenserwartung der Bevölkerung – und dies letztlich bis in das 19. Jahrhundert.

Daneben drohten vor allem aber zahlreiche Infektionskrankheiten, von denen uns in der Regel nur die furchtbarsten vermittelt werden, z. B. Cholera, Pest, Malaria u. a.

Heute sind es insbesondere die modernen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Stoffwechselkrankheiten, Selbstmord- und Unfalltote, die aber nicht verhindern können, dass das durchschnittliche Lebensalter eine stattliche Höhe erreicht hat – und möglicherweise noch weiter steigen wird, wenn wir es nicht selber ruinieren. Dazu gehören beispielsweise die Genussgifte, insbesondere die verheerenden Rauchgewohnheiten junger Menschen, Bewegungsmangel und Übergewicht (in der westlichen Welt bereits die Mehrzahl der Bevölkerung), Stress und sonstige „Geißeln der Zivilisation“, über die sich offenbar niemand mehr so recht aufregt, die aber die bisher ständig steigende Lebenserwartung langsam ausbremsen werden.

Deshalb ist die Mahnung der Experten durchaus ernst zu nehmen, die besagt: Die jetzige Statistik basiert vor allem auf einer Bevölkerung, die in jungen Jahren noch einen vergleichsweise „gesunden Lebensstil“ pflegte (oder historisch bedingt pflegen musste: zwei Weltkriege, entsprechende Notzeiten zuvor, während und danach). Die jetzige Generation dürfte dagegen von einem risikoreichen Lebensstil geprägt sein, der dann eines Tages seinen Preis einfordert, z. B. eine wieder abgesenkte Lebenserwartung.

Im Übrigen hat natürlich die Lebenserwartung ohnehin ihre Grenze. Denn die art-spezifische maximale potentielle Lebenslänge der Tiere und des Menschen ist genetisch fixiert, auch wenn sie bei den einzelnen Gattungen erheblich variiert. Sie schwankt von wenigen Tagen (manche Insekten) bis zu 130 Lebensjahren (z. B. bestimmte Schildkröten-Arten).

Dabei fällt nebenbei in der Tierwelt ein äußerer, offenbar lebenszeit-relevanter Faktor auf, der auch für menschliche Wesen einen bedenkenswerten Kern hat, nämlich: Unter günstigen Bedingungen, z. B. in zoologischen Gärten, erreichen viele Tierarten ein höheres Alter als in freier Wildbahn. Auf den Mensch übertragen hieße dies: ruhiger, gelassener, sorgenärmer („sorgenfrei“ ist niemand, das ist übrigens auch nicht empfehlenswert – siehe später), weniger psychosozialer Verschleiß (also Arbeit ja, Hektik bzw. Stress möglichst wenig) und eine gesündere Lebensweise (jeder weiß es, kaum einer hält es durch).

So gesehen erreicht also – trotz aller Fortschritte in der Gesundheitsvorsorge – auch beim Menschen heutzutage niemand ein höheres Alter wie früher. Die obere Grenze liegt offenbar bei rund 115 bis 117 Jahren. Mehr ist nicht drin, nach wie vor.

Kleine Geschichte der Alterns-Forschung

Wie aber bleibt man gesund und wird alt? Dieser Wunsch, ja diese Sehnsucht treibt die Menschheit seit Anbeginn um. Das geht beispielsweise aus Geschichtsquellen hervor, die auf 4000 Jahre alte Papyrusrollen zurückgehen.

Oder entsprechende Bemühungen im chinesischen Kaiserreich, was schließlich in den Versuch mündete, den „Stein der Weisen“ zu finden, zumindest aber ein Lebens-Elixier (Heiltrank, Verjüngungsmittel), ja ein „Kraut des ewigen Lebens“ (was gerade in der chinesischen Medizin bis heute eine Rolle spielt).

Das benachbarte Riesenreich der Inder war da etwas realistischer und versuchte sich vor allem an spirituellen Möglichkeiten der Lebensverlängerung.

In der Antike des alten Griechenland und Römischen Imperiums waren es nicht nur die Ärzte, auch die Philosophen, die sich mit Heilkunde und damit Lebensverlängerung beschäftigten (z. B. die Lehre der Makrobiotik, also die alte Kunst, das Leben zu verlängern, während man heute damit eine spezielle Ernährungsweise auf der Basis von Gemüse und Getreide meint). Dabei gab es zwar etwas mystisch-abwegige, aber auch durchaus erdverbundene Empfehlungen (meist Ernährungsverhalten, Mäßigkeit „in allen Dingen“, körperliche Aktivität, seelische Stabilisierung).

Die germanische Heilkunde war da viel dürftiger ausgestattet; auch das gesamte Mittelalter brachte mit wenigen Ausnahmen erstaunlich wenig medizinische Fortschritte (was nicht zuletzt politische, ja sogar kirchen-politische Ursachen hatte). Trotzdem ließ man der Phantasie freien Lauf, insbesondere was den allseits bekannten „Jung-Brunnen“ anbelangte, also entsprechende Quellen zur Lebenserfrischung und sogar Verjüngung (wofür selbst Expeditionen in ferne Länder, z. B. die Neue Welt ausgerüstet wurden, dafür hatte man dann Geld...).

In der Renaissance besann man sich wieder der konkreten Empfehlungen des Altertums und vor allem der Ernährungslehre (griff aber auch erneut zum berüchtigt-berühmten Aderlass). Während der Aufklärung wurde man wieder etwas bodenständiger. Doch der Durchbruch war erst durch eine faszinierende Arzt-Persönlichkeit gegeben, deren Empfehlungen bis heute nachwirken: Christoph Wilhelm Hufeland.

Die Makrobiotik von Christoph Wilhelm Hufeland

Dr. Christoph Wilhelm Hufeland (1762 - 1836), zeitweilig Arzt von Goethe, legte ein bis heute modernes Konzept vor, wobei seine Analysen vor allem auf der Biographie von alt gewordenen Persönlichkeiten basierte. Oder kurz: Wie haben es die Erfolgreichen gemacht? Dabei griff er auch auf entsprechende Erkenntnisse über die Lebensdauer von Pflanzen, Tieren und Menschen in früheren Zeiten zurück und kam auf vier entscheidende Faktoren:

1.Genetische, d. h. erbmäßige Anlage und Konstitution (Hufeland spricht dabei von der jedem Individuum zugewiesenen Lebenskraft).

2.Den Abnutzungsgrad der Körperorgane.

3.Den Grad des Körperstoffwechsels (Ausmaß des „Verbrauchs“ bis zur Auszehrung, wobei er das menschliche Leben mit einer brennenden Kerze verglich, die man schneller und langsamer abbrennen lassen kann, je nach Windzug; heute mitunter auch gleich von beiden Seiten ...).

4.Die Regenerations-Fähigkeiten, also Erholungsmöglichkeiten vom psychologischen bis zum organischen (körperlichen) Pol.

Nur unter Berücksichtigung dieser vier Faktoren war nach seiner Ansicht eine Lebensverlängerung überhaupt möglich. Wie wahr. So gehörte sein Buch schon zu Goethes Zeiten zu den Bestsellern und wurde in fast alle westliche Sprachen übersetzt.

Als eigentlicher Begründer der allgemeinen Geriatrie, also Altersheilkunde, gilt allerdings der französische Klinikarzt Jean Martin Charcot. In seinen 1867 veröffentlichen Vorlesungen über chronische und Alterskrankheiten versuchte er erstmals alle wichtigen Erkenntnisse zusammen zu fassen. Doch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dies dann auch konkret und damit immer ergiebiger nachgemacht.

Heute sind es vor allem folgende wissenschaftliche Fächer, die sich mit dem Altern und Alter befassen:

- Geriatrie: Altersheilkunde (deshalb auch Geriatrica: Arzneimittel, die zu einer Steigerung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des alten Menschen beitragen sollen – derzeit im Rahmen des Anti-Aging wieder modern).

- Gerontologie: Auch Geratologie genannt, also Alternsforschung. Dabei gibt es zwei Forschungs- und Therapieschwerpunkte:

- - die Gerohygiene, die sich mit den Umweltbedingungen zu Altern und Gesundheit, vor allem in der Rückbildungsphase des Lebens und im Greisenalter beschäftigt und

- - die Geroprophylaxe, die sich um die Prävention (Vorbeugung) bemüht, insbesondere was chronisch-entzündlich, degenerative (Verschleiß) und neoplastische Erkrankungen (Tumore) anbelangt.

- Gerontopsychiatrie: Teilgebiet der Psychiatrie, die die seelischen Krankheiten beim alten Menschen beforscht, diagnostiziert und behandelt.

Was heißt Höchstalter?

Wie bereits erwähnt kursieren in den Medien und damit im Alltag die spektakulärsten Altersangaben. Über hundert Jahre alt beeindruckt ohnehin niemand mehr. Über 120, 130, ja 160 Jahre und mehr müssen es sein. Sind sie es wirklich?

Das hängt davon ab, wo man alt geworden ist, also seinen Wohnsitz hat. Ja, werden die meisten beipflichten: Es sind zivilisations-typische, sozio-ökonomi­sche, ja kulturelle Aspekte sowie natürlich spezielle Ernährungsgewohnheiten, die regional über das Höchstalter bestimmen.

Nein, antworten schmunzelnd die Experten. So sah man das früher. Und so sehen es heute insbesondere jene, die aus solchen nur zum Teil zutreffenden Erkenntnissen ihren wirtschaftlichen Nutzen ziehen (z. B. spezifische Ernährungs-Empfehlungen).

Das Höchstalter ist vor allem durch eine mangelnde wissenschaftliche Dokumentation gekennzeichnet. Wenn es keine objektivierbaren Geburtsunterlagen gibt, dann kommt im Verlauf der Zeit schon einmal mehr zusammen als der Mensch je zu erreichen vermag. Außerdem gab es früher eine andere Zeitrechnung.

So wird beim Studium des Alten und Neuen Testamentes deutlich, wie die Phantasie-Grenzen bei kritischer Durchsicht rasch ins Realistische, d. h. ins biologisch Erreichbare sinken: Während Methusalem noch 969 Jahre zugesprochen wurden (weshalb man auch heute noch von einem methusalemischen Alter spricht), geht dies beim Stammvater Abraham schon auf 176 und bei Moses auf 120 Jahre zurück. In den hebräischen Weisheitssprüchen wird das höchste Alter mit 100 Jahren angegeben. Der Psalmist rechnet dabei aber nur noch mit 70 bis 80 Jahren: „Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn es hochkommt, so sind’s 80 Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Müh’ und Arbeit gewesen“.

Im Neuen Testament spielt die Langlebigkeit keine Rolle mehr. Jetzt darf der gläubige Christ im Jenseits auf ein neues Reich des Ewigen Lebens hoffen. Der antike Philosoph Aristoteles blieb realistisch, genau so wie Buddha mit etwa hundert Jahren. Der bekannte mittelalterliche Arzt Paracelsus verstieg sich zwar wieder auf 140 (ja gelegentlich fast 400) Jahre, aber so recht daran glauben mochte bereits damals schon niemand mehr, zumal die Zeiten gerade im Mittelalter wieder besonders hart wurden und die meisten Menschen einen frühen Tod sterben mussten (Kriege, Seuchen, Hungersnöte). Eine Sensation war dann noch mal ein „152-jähriger Engländer“, der selbst renommierte Ärzte des 17. Jahrhunderts narrte – und nach seinem ruhmreichen Tod allerdings peinlich entlarvt wurde – mit weniger als der Hälfte Lebensjahre.

In den letzten zwei bis drei Jahrhunderten aber kam verstärkt auf, was schon früher zum Nachdenken Anlass gab: nämlich der Erbfaktor. So hieß es schon 1750 lapidar: Wer lange leben will muss von gesunden Eltern gezeugt worden sein. Das leuchtet ein. Noch konkreter der Philosoph Immanuel Kant: „In einigen Familien ist Altwerden erblich und die Paarung in einer solchen kann wohl einen Familienschlag dieser Art begründen“. Oder mit einem heutigen Kalauer: „In der Auswahl der Eltern größte Vorsicht walten lassen ...“

Interessant wurde die erbliche Festlegung der individuell erreichbaren Altersstufe aber erst, als man sich der exakten Statistik bediente. Und da wurde es dann noch deutlicher: Die größten Chancen für eigene Langlebigkeit haben die, deren beide Eltern hochbetagt gestorben sind. Danach versuchte man sich zwar noch an weiteren statistischen Schlussfolgerungen, je nachdem ob Vater oder Mutter früh oder spät verstarben und man selber männlich oder weiblich war, doch das ließ sich nicht immer bestätigen.

Geblieben ist der genetische Vererbungs-Modus mit der einfachen Regel: Alt-gewordene Eltern = beste Chancen auf ein eigenes hohes Lebensalter, wenn nicht schicksalhafte Einbrüche dazwischen kommen. Außerdem: Ausnahmen bestätigen die Regel – in alle Richtungen.

Und es blieb – nunmehr wissenschaftlich abgesichert – die höchste, bis jetzt urkundlich beglaubigte Lebensspanne eines Menschen mit den schon erwähnten 115 bis 117 Jahren.

Alles was darüber liegt, ist leider unglaubwürdig und geht – nüchtern gesprochen – auf den Mangel an exakter Dokumentation, auf die Leichtgläubigkeit der Mitbürger, den Stolz der Heimatgemeinden, auf politische Opportunität („was bei uns nicht alles möglich ist!“), die Sensationsgier der Medien, die Gewinnsucht von Verwandten und Managern und schlichte Irreführung zurück.

Und was ist mit den demographischen Höchstalter-Unterschieden, die immer wieder angeführt werden, also die Hochburgen der Langlebigkeit wie Bulgarien, Ungarn, Ecuador, Georgien, die Himalaja-Region der Hunza’s, stellenweise Japan, Arabien, insbesondere Ägypten, Bolivien u. a.? Hier ist die ironische Schlussfolgerung eines Wissenschaftlers nicht ganz von der Hand zu weisen, die da lautete: “Die Langlebigkeit nimmt mit dem Analphabetentum des jeweiligen Volkes zu; viele wissen nicht, wann sie geboren sind und kommen so in rechnerische Schwierigkeiten“.

Das wäre nun nicht so welt-bewegend, wenn sich auf diese Fehl-Erkenntnisse und damit verbundenen Falschmeldungen nicht weitere Empfehlungen aufpfropfen würden, vor allem was Lebensweise und Ernährungsverhalten anbelangt, von spezifischen (meist Nahrungs-)Geheimnissen ganz zu schweigen.

Nun gibt es aber wirklich demographische Unterschiede, wenngleich viel geringer als bisher angenommen. So schien der demographische Verteilungsquotient vor etwa zwei bis drei Jahrzehnten noch deutlich zu differieren, nämlich 1,2 Hundertjährige pro 100.000 Einwohner in Finnland, Schweden und Japan, 1,5 bis 3,0 in Deutschland und der Schweiz und dann aber – unwahrscheinliche Ausreißer nach oben – in Südafrika (23,0), USA (29,8), Ägypten (270) und Bolivien (732).

Was bleibt nun aber übrig, wenn man die nüchterne Statistik authentischer Geburtsdokumentationen als unbestechliche Basis heranzieht? Eine bemerkenswerte Übereinstimmung, nämlich 1 bis 2, höchstens 3 Hundertjährige und Ältere auf 100.000 Bürger. So jedenfalls der Stand vor drei Jahrzehnten, was sich inzwischen etwas nach oben verschoben haben mag, aber nicht in zweistelligen Dimensionen. Geblieben dürfte auch das Geschlechterverhältnis sein, nämlich drei hochbetagte Frauen auf einen männlichen Langlebigen (wobei ein ironischer Kommentar wohl seine traurige Berechtigung haben wird: „die Vielzahl rauchender Mädchen wird das in absehbarer Zeit schon wieder zurechtrücken...“).

Studien zur Erforschung der Langlebigkeit

Wissenschaftlich exakte Studien zur Erforschung der Langlebigkeit gibt es also erst seit einigen Jahrzehnten, vor allem Mitte des voran gegangenen 20. Jahrhunderts. Einzelheiten würden hier zu weit führen, doch die „große Linie“ war schon früh erkennbar (nebenbei auch schon aus Jahrtausend alten Hinweisen ersichtlich) und bewegt sich vor allem auf vier Ebenen: seelisch-geistig-körperlich-psychosozial. Dass dabei erbliche Vor- und Nachteile eine wahrscheinlich dominierende Rolle spielen, wurde bereits ausgeführt.

Was sind nun die schon früher erkannten und heute bestätigten Voraussetzungen für eine erfreuliche Lebenserwartung?

Dazu gehören:

  • ein höherer sozio-ökonomischer Status mit besserer Schulbildung und einem angeseheneren Beruf mit höherem Einkommen
  • ein höherer Intelligenzgrad, speziell beim männlichen Geschlecht, mit einem stärkeren Maß an Anpassungs- bzw. „Auseinandersetzungs-Bereitschaft“ mit der jeweiligen Lebenssituation
  • eine hoffnungsvollere Stimmungslage mit entsprechender Lebensfreude und höherer körperlicher und geistiger Aktivität sowie geringerer Neigung zu Aufregung, innerer Unruhe, Nervosität, Reizbarkeit u. a.
  • eine auch „außerfamiliär“ verstärkte Kontaktbereitschaft und
  • ein konsequenteres Gesundheitsbewusstsein mit entsprechend geringer Krankheitsanfälligkeit.

So weit so gut, doch täuschten sich die Wissenschaftler schon früher nicht über die einschränkende Erkenntnis hinweg, dass kein einzelner der angeführten Vorhersage-Faktoren für sich allein eine erhöhte Lebenserwartung ergibt. Vielmehr scheint es sich um eine optimale „Konstellation“, also das Zusammentreffen entsprechender Umstände aus biologischer, psychologischer und sozialer Sicht zu handeln, was in eine Langlebigkeit mündet oder nicht.

Dabei sollen nach Ansicht einzelner Experten für das Erreichen eines Höchstalters mehr die biologisch-körperlichen Faktoren (also erbliche und organische Einflüsse) verantwortlich sein, während für die relative Langlebigkeit überdurchschnittlicher Lebenserwartung mehr die sozialen und psychologischen Aspekte von Bedeutung sind.

Das führte in der Wissenschaft zu spezifischen Modell-Schemata, die zwar in einem komplizierten Wechselspiel stehen, aber ihren zwar unterschiedlichen, aber nicht weg zu diskutierenden Anteil haben.

Beispiele: Die immer wieder erwähnten genetischen (Erb-)Einflüsse, ferner Schule, Beruf, sozio-ökonomischer Status, Persönlichkeitsstruktur, Intelligenz, Verhaltensweisen (Aktivität, Stimmung, Anpassung, Sozialkontakt), Ernährung, ökologische Faktoren (Umwelt), Gesundheitsvorsorge (Gesundheitsbewusstsein), Hygiene, soziale Umwelt u. a.

Dabei ist fast alles in eigener Regie beeinflussbar, mit Ausnahme der Erb-Bedingungen. So jedenfalls das Urteil derer, die die Eigen-Initiative in den Vordergrund gerückt sehen wollen. Das aber ist leider auch nicht ganz erb-unabhängig. Denn die Frage von Intelligenz und damit Schule und Berufsausbildung und schließlich gesellschaftlicher Status haben schon auch eine erb-bedingte Basis. Und ähnliches gilt für Verhaltensweisen, ja sogar Ernährung und die Einstellung zur Gesundheit. So bleibt wohl letztlich nicht allzu viel, was ausschließlich dem eigenen „freien“ Willen zugesprochen werden kann. Aber das ist ohnehin eine komplizierte Frage, die hier nicht weiter vertieft werden soll (aber für das Älterwerden durchaus bedeutsam ist).

Untersuchungsergebnisse bei 575 über 100-Jährigen nach H. Franke

Es ist eine Eigenart des Menschen, sich in Extremen zu bewegen. So zählten Jahrhunderte lang nur die philosophischen, ja medizinischen(!) Erkenntnisse der Antike (d. h. vor allem des antiken Griechenlands und später des Römischen Reiches mit seinen Geistes-Heroen). Jetzt ist es umgekehrt: Heute zählt nur das neueste Ergebnis. Das ist an sich nicht falsch, birgt aber bei einseitiger Betrachtungsweise eine ernste Gefahr: Man verliert den Überblick über die Erkenntnisse früherer Wissenschafts-Generationen.

Dies wäre wiederum nicht von Nachteil, wenn es sich um rein biologische Forschungs-Ergebnisse handelt, deren Qualität vor allem von dem technischen Fortschritt abhängt (der ja in der Tat immer eindrucksvoller unterstützt). Schwieriger wird es schon bei rein „menschlichen“ Fragestellungen, d. h. psychologisch, soziologisch, psychiatrisch, und eben auch geriatrisch, gerontologisch, gerontopsychiatrisch u. a.

Zumindest kann es nicht schaden, sich die alten Erkenntnisse zu nutze zu machen und mit neueren Daten zu vergleichen. Auch sollte man nicht vergessen, dass in manchen wissenschaftlichen Sparten der persönliche Einsatz die wichtigere Grundlage war. Dazu gehört beispielsweise der Kontakt von Mensch zu Mensch, der vor allem dann entscheidend ist, wenn man an mehr oder weniger intime Daten kommen will. Auf jeden Fall sollte man sich der wissenschaftlichen Ergebnisse der älteren Forschergeneration versichern, wenn man ähnliche Fragestellungen bearbeiten soll. Da wir aber in einer schnell-lebigen Zeit leben, sind ältere und damit vergessene Generationen bereits diejenigen, die ein halbes Jahrhundert, vielleicht auch nur zwei bis drei Jahrzehnte vor uns tätig waren. Auch wenn wir gelegentlich meinen, wir forschen auf einer inzwischen viel höheren (beispielsweise technisch perfekten) Ebene, stellt sich am Schluss doch nur heraus, dass man das Rad von neuem erfunden hat...

Zu einer solchen erinnerungs-werten wissenschaftlichen Leistung gehört im Rahmen der Langlebigkeits-Forschung eine interessante Studie des ehemaligen Direktors der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Würzburg, Prof. Dr. med. Hans Franke, Internist und Gerontologe. Er hat die Ergebnisse seiner jahrelangen Bemühungen mit seinen Mitarbeitern in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen niedergelegt, vor allem aber in dem Fachbuch H. Franke: Auf den Spuren der Langlebigkeit. F.K. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 1985 und in dem populärmedizinischen Taschenbuch H. Franke: Hoch- und Höchstbetagte. Ursachen und Probleme des hohen Alters (Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1987).

Darin berichtete er über 575 urkundlich belegte(!) 100-Jährige und ältere Personen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland, die er von 1963 bis 1969 untersuchte, und zwar im wissenschaftlichen Vergleich zu den bis dahin bekannten Forschungsergebnissen, unterteilt nach einer Vielzahl von konkreten Fragestellungen, wie sie zumindest teilweise nachfolgend gestreift werden sollen.

Dabei differenzierte er in drei Vitalitäts-Stufen, nämlich die rüstigen Uralten, die in ihrer Lebensfähigkeit bereits eingeengten, aber durchaus noch die täglichen Verrichtungen selbst vornehmenden Hochbetagten und die über 100-jährigen Patienten (jetzt im eigentlichen Sinne) mit zunehmendem Siechtum, die ständiger Pflege bedurften.

Im Einzelnen:

Gibt es tatsächlich eine familiär bedingte Langlebigkeit?

Ja, es gibt tatsächlich einen erblichen (also genetisch „programmierten“) Gesundheits- und Lebensalter-Vorteil. Das beginnt bei den Eltern und reicht zurück soweit die Stammbaumtafeln eine exakte Dokumentation erlauben. Dazu kommt der bekannte zeitliche Bonus (Pluspunkte) einer ohnehin ständig wachsenden Lebenserwartung (wie erwähnt: 75,4 Jahre für neugeborene Jungen, 81,2 Jahre für Mädchen). Oder in einem Satz von H. Franke selber: „Wir können das „biologische Horoskop“ auf langes Leben eines Menschen dann als günstig stellen, wenn der Proband aus einer langlebigen Familie stammt“.

Doch damit ist es nicht getan. Auch H. Franke betont gleich nach dieser wissenschaftlichen Erkenntnis, die die einen frohlocken, die anderen resignieren lassen könnte, dass die „genetische Basis“ ergänzt werden muss durch Faktoren, die man zumindest teilweise selber in der Hand hat: Lebens-, insbesondere Ernährungsweise (Genussgifte!), Ausbildung und Beruf, Zivilstand, Erkrankungen, Unfälle, Umgebung u. a. Oder kurz:

Wer wirklich alt werden will, muss mehr Bedingungen erfüllen als nur hochbetagte Eltern aufzuweisen. Einiges steht nicht in seiner Macht, das meiste aber sehr wohl – zumindest teilweise. Und eines summiert sich zum anderen – im Guten wie im Schlechten.

Geschlecht, Lebensweise, Zivilstand und Beruf

Zum Geschlecht hielt sich lange ein erstaunlicher Irrtum, der besagte: Männer werden älter und erreichen auch eher die höchste Lebensstufe. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Frauen viel zurückhaltender, bescheidener und realistischer sind und sich deshalb in früheren Studien sowohl selber weniger hervor taten als auch von ihrem Umfeld hervorgehoben wurden.

Interessant auch entsprechende Begriffe wie „alter Weiser“ oder „weiser alter Mann“, während sich das für das weibliche Geschlecht kaum findet bzw. als „weise alte Frau“ in unserer Gesellschaft eher schwer über die Lippen geht.

Inzwischen ist es unbestritten: Das weibliche Geschlecht wird älter und erreicht auch öfter die höchsten Lebensstufen, nämlich mindestens doppelt soviel Frauen wie Männer.

Schwieriger zu beantworten und auch zeitgebundener ist die Frage, wie sich der Zivilstand auf die Lebenserwartung auswirkt. Hier wurde von den Experten schon früher die Meinung vertreten, dass ein langjähriger Ehestand durchaus günstig sei. Das konnte auch H. Franke bestätigen, was nicht zuletzt das männliche Geschlecht betrifft (Anmerkung: die höchste Selbstmord-Rate bedroht Witwer über 75). Zwar gibt es auch einige Höchstbetagte, die ihre hohe Lebensspanne ihrem Junggesellen-Dasein zuschreiben, doch das war zumindest früher die Ausnahme.

Wie sich das jedoch unter den heutigen zivilisatorischen Bedingungen darstellt, das bedarf einer gesonderten Prüfung und Interpretation. Doch auch hier sieht man immer wieder, dass die wachsende Single-Gesellschaft eigene, durchaus gezielte Hilfen entwickelt, die die frühere Ehe und spätere Partnerschaft in vielem zu ersetzen vermag, und zwar offensichtlich ohne deren Nachteile.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang noch die Frage nach der sexuellen Aktivität der Höchstbetagten. Das aber war vor allem früher ein heikles Thema, dem man sich nur sehr vorsichtig nähern durfte. Doch sind die Experten der Meinung, dass die „Fruchtbarkeit der Frau“ und damit die Zahl ihrer Kinder ihrer Gesundheit und Langlebigkeit unter den heutigen medizinischen Bedingungen eher entgegen kommen (im Gegensatz zu den Jahrhunderten zuvor mit ihrer erschreckend hohen Kinder- und Müttersterblichkeit). Eine erfüllte Sexualität scheint auf jeden Fall der Langlebigkeit nicht zu schaden.

Was den Beruf anbelangt, so waren zumindest früher harte körperliche Arbeit kein Alters-Hemmnis, im Gegenteil. Die meisten der untersuchten über 100-Jährigen hatten ein arbeitsreiches, wenn nicht gar mühevolles Leben hinter sich, allerdings ohne Extrem-Überlastung und mit den notwendigen Ruhepausen (frühere Generationen hatten mehr Arbeit, die heutige mehr Stress – was ist „gesünder“?).

Und was spezielle Berufe anbelangt, die eine hohe Lebenserwartung fördern sollen: Sie gibt es nicht, jedenfalls nicht in dieser Studie. Es war praktisch alles vertreten; und unter den hochbetagten Frauen damals zumeist Hausfrauen. Wie sich das heute darstellt, wird man untersuchen müssen.

Lebensstil: Ernährungsweise, Ess- und Trinkgewohnheiten, Genussmittel

Was hat nach ihrer Ansicht wesentlich zu ihrem hohen Alter beigetragen? So lautet die Standard-Frage der Reporter bei allen Hochbetagten anlässlich ihres spektakulären Geburtstages. Die Antworten sind überaus unterschiedlich – und werden es auch bleiben. Jeder hat seine eigene Strategie. Kann man nicht viel dazu sagen, bleibt es „ein Geheimnis“. Hat man ein regelrechtes „Lebens-Konzept“, geht es durch die Medien – und prägt wahrscheinlich einseitig das Meinungsbild. Am häufigsten geht es heute um die Ernährungsweisen, doch das war nicht immer so.

Sehr bezeichnet für unsere Zeit und Gesellschaft der Witz mit tieferem Hintergrund:

Reporter: „Auf was führen Sie nun Ihr hohes Alter letztlich zurück?“
Jubilar: „Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Ich stehe derzeit noch in laufenden Verhandlungen mit dem Deutschen Sportlerbund, der Pharma-Industrie und einem Müsli-Hersteller...“.

Früher spielte sogar die Höhenlage des Wohnorts eine Rolle. Das mag uns heute originell vorkommen, auch wenn man beispielsweise im Bergland uralten Menschen begegnet und zumindest unbewusst feststellt: Natürlich, hier lässt sich leichter alt werden ... Früher aber wurde die „optimale Höhenlage des Aufenthaltsortes“ in der Tat ernsthaft diskutiert, da man vor allem in russischen Untersuchungen glaubte festzustellen, dass die meisten Hochbetagten in Wohnorten zwischen 600 und 1200 m zu finden seien.

Das aber konnte H. Franke für Deutschland nicht bestätigen: Mehr als acht von zehn seiner über 500 100-Jährigen lebten im Flachland, was nicht gegen Mittelgebirge oder noch höhere Lagen spricht, wohl aber gegen die Vermutung: Je höher der Wohnort, desto günstiger die Bedingungen für Langlebigkeit, aus welchem Grund auch immer. Oder kurz: Die Wohnlage mag schon eine Rolle spielen (z. B. Stadt/Land), aber nicht nach Höhenmetern gemessen. Außerdem geben die Experten zu bedenken: Früher(!) hatten die Bergbewohner ein härteres Dasein zu verkraften, schon rein körperlich, mehr jedenfalls als auf dem flachen Land bzw. in Küsten-Nähe. Ob das heute noch so ist, sei dahingestellt. Vor einem halben Jahrhundert jedenfalls war es schon nicht mehr nachweisbar, wie Franke’s Untersuchung belegt.

Beim Lebensstil aber gibt es schon Hinweise, die man ernster nehmen sollte:

  • Zuerst ein subjektiver Gesundheits-Aspekt, der so alt ist wie die Menschheit und seit bald hundert Jahren unverändert angemahnt wird, nämlich: Die meisten der Langlebigen sind rüstige Fußgänger, Schwimmer oder Turner. Das leuchtet auch heute noch ein: Wer körperlich aktiv ist, hat die besseren Karten.
  • Nun weiß jeder: Der Mensch ist eine sparsame Maschine. Er braucht viel körperliche Aktivität, eine bestimmte Flüssigkeitsmenge (was vor allem den Älteren zu schaffen macht, denn die vergessen ja regelrecht das Trinken und kommen nicht auf ihre 2 bis 3 Liter pro Tag) und
  • erstaunlich wenig feste Nahrung. Mäßig im Essen, das durchzieht die geriatrischen Empfehlungen über alle Jahrhunderte hinweg. Tatsächlich waren auch die Hochbetagten von H. Franke Zeit ihres Lebens mäßige Esser.

Das wird unterstrichen durch den internationalen Vergleich der drei bekanntesten Langlebigkeits-Bastionen dieser Erde (Ecuador/Südamerika, Kaukasus/ Russland und Hunza-Gebiet/Asien). Dort war und ist das Nahrungsmittel-Angebot begrenzt, dort wird das Maßhalten von den alltäglichen Möglichkeiten und Grenzen diktiert, fördert aber eben auch das Älterwerden (derzeit diskutiert man ja wieder das „dinner cancelling“, oder auf Deutsch: das Abendessen nicht nur schmal halten, sondern ggf. ganz ausfallen lassen).

Bei den russischen, bulgarischen, ungarischen und auch den meisten untersuchten westdeutschen 100-Jährigen schwanken – soweit beurteilbar – die täglichen Kalorienmengen zwischen 1200 und 1900 kcal. Das betrifft nebenbei nicht nur Mitteleuropa, sondern auch US-amerikanische Hochbetagte, denen die üblichen Mäßigkeitsempfehlungen in ihrem Umfeld noch schwerer fallen dürften (USA: das Land mit der höchsten Übergewichts-Dichte).

Kurz: Die Mehrzahl der Uralten ist im Allgemeinen schlank bis leicht untergewichtig. Das unterstreicht die alte Erkenntnis: Kalorien-Restriktion erhöht die Lebensdauer (was nebenbei in Tierexperimenten wissenschaftlich exakt nachweisbar ist).

  • Nun ist es typisch für den (modernen) Menschen, bei der Empfehlung zum „leichten Untergewicht“ eher wegzuhören, dafür großes Interesse für bestimmte Ess-Gewohnheiten zu entwickeln, die der Gesundheit im Allgemeinen und Langlebigkeit im speziellen entgegen kommen sollen. Das betrifft beispielsweise Joghurt, Kefir, Zwiebeln, Honig, Ziegenmilch (bei den Bulgaren), spezielle Brotfladen und Aprikosensamenöl (bei den Hunzas) sowie spezifische (oft auch noch wechselnde) Diäten bei den Europäern und US-Amerikanern.

Heute wird das natürlich immer komplizierter, wobei moderne Anti-Aging-Rezepte besonders auf die Vitamine A, C und E, auf die Karotinoide, Flavonoide und das Co-Enzym Q abheben, die als „Waffenarsenal des Alterns schlechthin“ hochstilisiert werden. Dazu kommen Spurenelemente wie Selen, Zink, Mangan oder Eisen zur Unterstützung der körpereigenen antioxidativen Enzymsysteme u. a.

Doch die meisten Experten winken ab: Gewiss gibt es regionale Ernährungs-Eigenheiten nach Land und Herkunft. Es gibt aber keine qualitativ spezifische Kost, die allen Hochbetagten unserer Erde gemeinsam und damit auch generell empfehlenswert wäre. Was aber die deutschen Langlebigen in der Tat praktizierten, war nach H. Franke folgende:

1.Jeder Dritte lehnte eine allzu fette und vor allem blähende Kost ab.

2.Manche hatten sich schon sehr früh auf eine individuelle Speise-(Un)Ver­träglichkeit eingestellt. Sie mieden dies oder jenes, verringerten aber auf jeden Fall dadurch nahrungsbedingte Beeinträchtigungen.

3.Auch legten die meisten, zumindest in den letzten Jahrzehnten, großen Wert auf eine persönliche Auswahl und Zubereitung ihrer Speisen.

4.Und sie nahmen sich viel mehr Zeit zum essen als die Durchschnittsbevölkerung.

Im Übrigen konnte der Internist H. Franke bei seinen 100-Jährigen keine Mangelzustände diagnostizieren. So etwas ist allerdings – wenn nicht durch äußere oder krankheitsbedingte Umstände erzwungen – in Mitteleuropa bei normaler Verköstigung ohnehin kaum zu erwarten.

  • Wie aber steht es mit den Genussmitteln? Auch das werden die Hochbetagten anlässlich ihres Jubel-Festes gerne gefragt. Die Antworten sind vielfältiger, als man ggf. erwarten würde: Das beginnt mit einer Vorliebe der Höchstbetagten für Kaffee oder Tee, und dies nicht nur immer maßvoll, mitunter auch schon bis zu sieben Tassen Kaffee oder Tee pro Tag. Offenbar wird damit die zumindest zeitweise lästige Tagesmüdigkeit oder Mattigkeit bekämpft. Für bestimmte Teesorten werden ja auch immer wieder konkrete Vorteile diskutiert. Ein moderater Konsum dieser Genussmittel scheint den Langlebigen zumindest rückblickend nicht geschadet zu haben.

Desgleichen der maßvolle Konsum von Alkohol. Kleine Mengen waren und sind hier offenbar nicht selten. Dabei führte in Franke's Untersuchung der Wein (insbesondere Rotwein) vor Bier und einem „kleinen Schnaps“ (bei Frauen nebenbei auch Cognac). Missbrauch oder gar Abhängigkeit fanden sich in keinem Fall.

Aufschlussreich dagegen das Problem der Genuss-Gifte: Natürlich kennt jeder Fotos von rauchenden Uralten und sogar weiblichen Geschlechts. So etwas geht um die Welt. Doch selbst dort, wo das Rauchen in der Männerwelt mehr oder weniger dazu gehört und in jungen und mittleren Jahren auch regelmäßig praktiziert wird, wird es bei den Höchstbetagten im letzten Lebensdrittel häufig aufgegeben (wie auch in der vorliegenden deutschen Untersuchung). Rauchen – das ist den Hochbetagten instinktiv gegeben – gehört nicht zu den Strategien einer Langlebigkeit (weshalb in dieser Altersstufe offenbar auch nur selten bösartige Tumoren vorkommen).

Körperliche Beeinträchtigungen im Höchstalter?

Hier bedarf es keiner Diskussion: Nur wer gesund bleibt, kann auch alt werden. Oder der Realität etwas näher: Nur diejenigen, deren Organismus nicht wesentlich durch lebensbedrohliche Krankheiten geschädigt wurde, dürfen auch auf ein hohes Alter bis hin zu Langlebigkeit hoffen. Doch hier bietet sich ein interessanter Unterschied an, nämlich die subjektive und objektivierbare Gesundheitslage. Nicht selten – so Franke – war bei seinen über 100-Jährigen die Selbsteinschätzung hinsichtlich ihres subjektiven Gesundheitszustandes optimistischer als es dem ärztlichen Befund entsprach. Oder kurz: Selbst Hochbetagte sind kränker als sie meinen.

Was entscheidet dann über eine behindernde Erkrankung? Zum einen sicher Art und Intensität des Leidens. Aber auch – gemäß den modernen Erkenntnissen der Psycho-Neuro-Immunologie – besonders die individuelle Sichtweise und Bewertung belastender Faktoren. Stress entsteht vor allem im Kopf. Wer sich also hier etwas günstiger einschätzt, als es der Realität entspricht, mag sich zwar objektiv irren, subjektiv aber seinen Gesundheitszustand eher stabilisieren.

In H. Franke’s Untersuchung bezeichneten sich zwei Drittel aller Uralten als gesund. Dies entspricht den beiden Gruppen, an die wir uns vielleicht noch erinnern: rüstige Uralte und in ihrer Lebensfähigkeit etwas eingeengte, aber noch selbstständige Hochbetagte. Und selbst bei den Siechen, der dritten Gruppe (pflegebedürftig und fast immer bettlägerig) erstaunten noch immer vier von zehn Befragten mit ihrer positiven Einstellung.

Manche Experten vertreten sogar die Meinung, dass Langlebigkeit eher mit subjektiver als mit objektiver Gesundheit zusammen hänge. Das hat zwar seine Grenzen, aber auch etwas für sich. Allerdings sind die meisten Uralten schon von Unheil-bringenden Erkrankungen verschont geblieben (z. B. fortschreitender Krebs, schwere Herzfunktionsstörungen, ausgeprägte Stoffwechselleiden u. a.). Leichte Operationen sind dafür durchaus nicht selten. Das Nachlassen der Hör- und Sehfähigkeit kann jedoch fast als die Regel bezeichnet werden, wird aber als mehr oder weniger tolerierbar akzeptiert. Was auf jeden Fall positiv zu Buche schlägt, sind relativ spät einsetzende behindernde Altersgebrechen: Lungenüberblähung, Bronchitis, Blasenentzündung mit Harn-Inkontinenz, zermürbende Schmerzen durch degenerative Verschleißerscheinungen von Wirbelsäule und Gelenken u. a.

Interessant auch die nur mäßig ausgeprägte Neigung zur Gefäßverkalkung, nicht zuletzt was Hirn- und Herzkranzgefäße anbelangt. Gleiches gilt für schwere Stoffwechselleiden (Gicht, Alters-Diabetes, Blutfette).

Vor allem die Geiseln des modernen Lebensstils scheinen den Hochbetagten meist fremd. Dazu gehören Bluthochdruck und zu hohe Blutfette-Befunde (Serum-Cholesterin- und Triglycerid-Spiegel). Auch die Pulsrate war angepasst. Ähnliches gilt für die Drüsenfunktion mit innerer Sekretion (Schilddrüse, Geschlechtshormone).

Mattigkeit am Tag und Schlafstörungen nachts?

  • Tagsüber müde und nachts schlecht geschlafen – das sollen die zwei häufigsten Klagen unserer Zeit und Gesellschaft sein. Einzelheiten dazu siehe die spezifischen Kapitel. Eines aber ist sicher: Der moderne Lebensstil ist daran nicht unerheblich beteiligt. Und die persönliche Einstellung, man könne alles auf „Knopfdruck“ erwarten oder gar fordern.
  • Nun ändert sich das Wach- bzw. Vigilanz-Verhalten am Tag und die Schlafperiode in der Nacht in Abhängigkeit vom Alter (und natürlich vom Gesundheitszustand). Eine der klassischen Alters-Klagen über die chronische Müdigkeit, wie sie schon die „besten Jahre“ beeinträchtigen soll, ist die Tagesmüdigkeit, konkreter Mattigkeit oder Tages-Ermattung bzw. regelrechte Erschöpfungsneigung. Völlig frei davon sind offenbar nur wenige über 100-Jährige. Allerdings klagen sie seltener darüber, als die Mehrzahl der „durchschnittlich Älteren“.

Auch hier scheint zweierlei hereinzuspielen: Zum einen das Akzeptieren einer altersbedingten Mattigkeit (die man auch als sinnvolles Regulativ verstehen sollte), zum anderen eine weniger ausgeprägte Jammerigkeit generell; und zuletzt sicher auch etwas stabilere Potential seelisch-geistig-körperlicher Kräfte bzw. Reserven.

  • Ähnliches gilt für die Schlafstörungen. Sie nehmen bei Älteren linear zu und beeinträchtigen natürlich den nächtlichen Erholungswert (da vor allem der Schlaf „dünner“, also oberflächlicher und deshalb das Wieder-Einschlafen erschwert wird). Wenn nun die Sorge über „schlechten Schlaf“ zur häufigsten Klage des älteren Menschen generell gehört, insbesondere beim weiblichen Geschlecht, so findet sich das zwar ebenfalls beim Hochbetagten, wird aber offenbar besser in die neuen Bedingungen des dritten Lebensalters integriert. Dabei muss man allerdings fairerweise zugestehen, dass es hier vor allem der physiologisch (normal) oberflächlicher werdende Schlaf ist, der beeinträchtigt, und nicht schwere körperliche oder seelische Störungen, die dann wirklich nicht nur durch ein Schlafdefizit, sondern auch durch qualvolles nächtliches Wachliegen zermürben.

Psychologische Aspekte der Langlebigkeit

H. Franke war Internist und dem zufolge interessierten ihn vor allem die organischen Aspekte. Psychologische oder gar psychiatrische Fragen waren für ihn nicht vordringlich. Außerdem gibt es darüber reichlich Literatur, nicht zuletzt auf schöngeistiger Ebene. Was ihm aber auffiel ist folgendes: Besonders die Rüstigen unter den Hochbetagten können sich – wie übrigens schon bisher angesichts ihres gelebten Lebens – relativ gut mit der jeweiligen Gesamtsituation auseinander setzen. Dabei fallen eine bewundernswerte Geisteshaltung und mitunter auch erstaunliche Aktivitäten auf, selbst noch im hohen Lebensalter (Sprachen lernen, Pionier neuer Herstellungsverfahren, den Doktortitel erwerben u. a.).

Das hängt natürlich vom Grad der jeweiligen Vitalität ab. Und von der erworbenen „Klugheit“, die man dann als Lebensklugheit oder Lebensweisheit bezeichnet. (Und das im Gegensatz zu dem ironischen Sinnspruch: „Mit dem Alter kommt die Weisheit; oft kommt auch das Alter nur allein ...“)

Bedeutsam ist natürlich die Intensität der Ansprache von außen, das Eingebundensein, die Anerkennung durch Familie, Verwandten- und Bekanntenkreis, durch Nachbarschaft u. a. Und wenn es denn sein soll auch im Heim (in dem man nicht nur seelisch-geistig untergehen muss, sondern durchaus Engagement zeigen und damit Rückkoppelung erfahren kann).

So zeigt sich auch bei den Langlebigen von H. Franke vor allem eines: eine schon früher bestehende und im Alter nicht versiegende positive Einstellung zum Leben. Das ist übrigens unabhängig von Ausbildung und Position, betrifft also – wie Franke es ausdrückt – alle, vom Universitätsprofessor bis zum Landarbeiter. Und hier vor allem die tägliche Tätigkeit als wesentlicher Motor, durch das bekannte Motto charakterisiert: wer rastet, der rostet (häufigster Ausspruch der interviewten Hochbetagten).

Viele Uralte betonten nach H. Franke auch den Wert eines geistigen Lebens und Strebens, vor allem eine positive, d. h. grund-optimistische Stimmungslage. Dabei spielt besonders der Humor eine tragende Rolle. Und eine zumeist tiefe Religiosität mit der Überzeugung, dass Gott alles zum Guten wenden werde.

Ein Energie-Spender eigener Art sind offenbar auch Hobbys, die bis ins hohe Alter gepflegt werden. Und ein Aspekt, der schon früher die Experten zutiefst beeindruckt hat und mit den Worten eines schweizerischen Geriaters wiedergegeben werden soll:

„Von Mal zu Mal stand ich im Banne dieser unbeirrbaren Frömmigkeit und Abgeklärtheit, die so für den Beschauer irgendwie beschämend wirkenden Bescheidenheit, Dankbarkeit, Demut und Ergebenheit in eine gütige Vorsehung“.

Man kann es auch wissenschaftlicher oder philosophischer ausdrücken, aber treffender wohl kaum.

Wie endet ein 100-jähriges Leben?

Die Lebenserwartung ist das eine, die Lebensqualität und damit Lebenslust das andere. Das ist nicht immer gleich. Natürlich nimmt die Lebensqualität mit reduzierter Vitalität oder gar eingeschränkter Gesundheit ab. Es ist aber erstaunlich, dass die Lebenslust der über 100-Jährigen trotz aller Einschränkungen eine bemerkenswerte Stabilität aufwies. Und dies bei unterschiedlichem Gesundheitszustand. So verspürten neun von zehn der Rüstigen der über 100-Jährigen keine ernstere Lebensmüdigkeit. Bei der zweiten Gruppe mit eingeschränkter Gesundheit waren es nach H. Franke immer noch acht von zehn. Und bei den bettlägerigen Pflegebedürftigen noch erstaunliche zwei Drittel. Handelt es sich hier um eines der Geheimnisse langen Lebens, unabhängig vom Gesundheitszustand?

Wie aber steht es mit dem Tod, der jeden erwartet? Gewiss stirbt jeder seinen eigenen Tod. Unterscheiden sich aber die Hochbetagten von der übrigen Bevölkerung? Möglicherweise schon: Vor allem die noch rüstigen 100-Jährigen sind im Allgemeinen mit dem Problem der Endlichkeit ihres Lebens durchaus vertraut. Sie akzeptieren den Tod. Deshalb hat er bei ihnen und zumal nach einem erfüllten Leben eine andere, eine geläuterte Bedeutung.

Natürlich ist auch ihnen das bewusste Sterben fremd und auch sie haben Furcht vor dem Ableben, insbesondere wenn man nicht weiß, ob es sich schmerzlos oder schmerzhaft gestalten wird. Das Wichtigste aber scheint das erwähnte Gefühl eines „erfüllten Lebens“ zu sein. Und mit ihm eine gewisse Gelassenheit, um die letzte Stufe des Daseins zu erreichen – und zu überwinden.

Dabei kann der religiöse Glaube – es kam schon mehrfach zum Ausdruck –, überaus hilfreich sein. Und die Nähe von Kindern, Enkelkindern und anderen Verwandten, mit denen man bis zuletzt regelmäßig Kontakt pflegen durfte.

Anders ist es – und da machen auch die Höchstbetagten keine Ausnahme –, wenn Rückzug, Einsamkeit und damit ggf. Verzweiflung drohen. Das beginnt mit dem Verlust des Partners und erstreckt sich bis zur Isolation. Allerdings nehmen gerade bei den Langlebigen Depressionen mit ansteigendem Alter eher ab als zu.

Wichtig ist aber für jede Altersstufe der Wunsch, zu Hause und in Würde und möglichst im Beisein seiner Angehörigen sterben zu dürfen – und nicht in der anonymen Atmosphäre eines Krankenhauses. Denn eines der größten Probleme, auch am Ende eines überlangen Lebens, ist die Furcht vor der Einsamkeit in den letzten Stunden.

An was sterben Hochbetagte?

Gibt es einen „reinen Alterstod“, wie immer wieder diskutiert wird? Tatsächlich legte die einstmals häufige Todesbescheinigung „Altersschwäche“ ein solches, gleichsam „natürliches Verlöschen“ nahe. Das wäre dann ein Abschied ohne krankhafte Veränderungen oder konkret: der Alterungsprozess als alleinige Todesursache.

Doch das gibt es offenbar nicht. Am häufigsten sterben die Uralten aus Gründen der chronischen und akuten Herzinsuffizienz (jeder zweite), gefolgt vom so genannten Marasmus (d. h. einem allgemeinen Kräfteverfall – mehr als jeder vierte), danach kommen Infektionen wie Lungenentzündung (jeder zehnte) und schließlich Schlaganfälle (etwa jeder zwanzigste). Dagegen sind bösartige und damit zum Tode führende Tumor-Erkrankungen bei den über 100-Jährigen so gut wie nicht zu finden (bei H. Franke ein Prozent als eindeutige Todesursache).

Was man jedoch bei der Autopsie (Leicheneröffnung) dann findet, ist etwas ganz anderes, erstaunliches: das Bild der Polypathie, wie es früher bzw. Multimorbidität wie es heute genannt wird, oder auf deutsch: vielfache Gebrechen, die am Schluss jene Summe überschreiten, die noch mit einer Lebensfähigkeit vereinbar ist.

Diese vielfältigen Erkrankungen sind offenbar bis zuletzt ertragbar. Dann aber kommen zwar banale, aber nicht mehr tolerierbare und damit letztlich entscheidende Krankheitsereignisse hinzu, die schließlich zur eigentlichen Todesursache werden. Die Widerstandskraft der Hochbetagten ist zuletzt so geschwächt, dass beispielsweise geringfügige grippale Infekte mit sekundärer Lungenentzündung bei Lungenüberblähung oder gar die psychosomatische Rückwirkung eines Knochenbruchs („damit ist alles aus“) bzw. die Nachricht vom Tode eines nahen Verwandten das Ableben auslösen können.

Die meisten Hochbetagten leiden also an mehreren und zwar recht unterschiedlichen und häufig auch noch voneinander unabhängigen Krankheiten. Das ist geradezu charakteristisch. Die Mehrzahl sind zwar „nur“ so genannte Altersgebrechen oder „ruhende Leiden“. Kommen aber andere hinzu, die das Ganze über die ertragbare Schwelle heben, dann droht Lebensgefahr.

Interessant, dass es offenbar auch geschlechtsspezifische Schwerpunkte gibt. Beispiele: Beim weiblichen Geschlecht eher Herz-Kreislauf- und Gehirngefäß-Verkalkungen, Bluthochdruck, der graue Star sowie Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, bei Männern eher Lungenüberblähung, Leistenbrüche und – wenn auch selten – Tumore. Das Ende ist gekennzeichnet durch banale Beeinträchtigungen, die die bisher knappe Belastbarkeits-Grenze verschieben und dann schließlich zum Tode führen – auch nach über 100 Lebensjahren.

Wie werde ich 100 Jahre alt?

Zum Schluss stellt sich erneut die alte, wenn auch mit dem notwendigen Humor gestellte, letztlich aber doch bedeutsame Frage, die schon im Titel anklang: Und wie werde ich nun 100 Jahre alt?

Bei den Hochbetagten handelt es sich also um eine spezielle biologische Kategorie von Individuen, die infolge einer optimalen Kombination von endo- und exogenen Faktoren die meisten ihrer Mitmenschen überleben. Welches sind nun die wichtigsten endogenen (also von innen kommenden, biologisch verankerten) und exogenen (äußerlichen) Aspekte?

  • Als Erstes, das sei noch einmal betont, die Heredität, die Erbfaktoren: Fast zwei Drittel der von H. Franke untersuchten Hundertjährigen stammten aus Familien mit überdurchschnittlicher Lebenserwartung.
  • Dann das Glück, keinen lebensbedrohlichen Risiken ausgesetzt, also vor allem von lebensgefährlichen Situationen verschont geblieben zu sein.
  • Wichtig ist auch die Erhaltung der geistigen Fähigkeiten: Dabei wurde schon früher festgestellt, dass es offenbar weniger der schicksalsmäßige Aufbrauch an Gehirnzellen ist, eher ihre Inaktivität, die einen altersbedingten geistigen und damit auch psychosozialen und schließlich körperlichen Niedergang fördern. Umgekehrt vermag eine rege geistige Tätigkeit den Alterungsprozess der Gehirnfunktionen etwas zu bremsen.
  • Zu den spezifischen Aspekten günstiger Lebens-Aussichten gehören beispielsweise:

- - der äußere Eindruck, was bei einem Großteil der rüstigen Hundertjährigen dazu führt, dass sie viel jünger aussehen als ihrem kalendarischen Alter entspricht.

- - Der Umstand, dass alters-typische Veränderungen, z. B. eine Arteriosklerose der Gehirn- oder Herzgefäße die gesamte Vitalität der Höchstbetagten offenbar weniger beeinträchtigen, als dies in der Regel hingenommen werden muss. Dass sie gänzlich verschont bleiben, ist kaum zu erwarten.

Wichtig aber ist z. B. der Ort der Gefäßverengung durch Verkalkung der Gefäß-Innenwände. Oder konkret: Es kommt sehr darauf an, wo sich ein Durchblutungs-Engpass auszubilden droht. Am ungünstigsten natürlich im Gehirn und am Herzen und hier an ganz bestimmten Lokalisationen (in Fachbegriffen: im Gehirn die Arteria cerebri interna an einem Ort mit geradezu riskant bis gefährlich verdichteter Raumnot, ein regelrechter Engpass, und am Herzen die Koronar- oder Herzkrankgefäße; und beide meist dort, wo sie eine Krümmung, fast schon einen Winkel bilden und damit die Strömungsverhältnisse besonders belasten).

- - Schließlich finden sich zwar reichlich Altersgebrechen im Sinne von Mehrfach- bzw. Kombinations-Krankheiten, aber eben keine lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Bei den äußeren Faktoren ist es zwar einfacher als beim „genetischen Glücksfall“ (langlebige Eltern oder nicht), aber auch nicht überall gegeben, positiv Einfluss zu nehmen. Beispiele:

Ein höherer sozio-ökonomischer Status schafft günstigere Aussichten. Dabei spielen die Einkommensverhältnisse eine bedeutsame Rolle, und zwar nicht nur als verfügbares Geld, sondern vor allem als sinnvoller Einsatz, z. B. in Lebensstil und Gesundheitsbewusstsein (die Ober- und Mittel-Schicht haben hier gegenüber der Grundschicht offenbar eine bessere Ausgangslage; sie nutzen konsequenter die medizinischen Möglichkeiten). In sozialer Hinsicht hilfreich ist auch eine funktionierende Partnerschaft (in jeder unterstützenden Form) und ein tragbarer Verwandten- und Freundeskreis, eine ruhige und hilfsbereite Nachbarschaft u. a.

Zu den seelischen und psychosozialen Aspekten gehören – wie erwähnt – höhere Intelligenz (und damit vor allem Bildung: besser Gebildete leben eindeutig länger, was nicht nur mit ihrer Grund-Intelligenz, sondern auch mit dem schon mehrfach erwähnten gesundheits-bewussterem Lebensstil zu tun hat); ferner aktives Sozialverhalten (Engagement, Anpassung, Stimmung) und die erwähnten zwischenmenschlichen Aspekte im Sinne von Partnerschaft, Familie, Freundeskreis u. a.

Auch ökologische Aspekte dürfen nicht vernachlässigt werden, auch wenn sie vielleicht „nur“ hinter dem Komma wirksam werden. Dazu gehören Wohnlage bzw. Umwelteinflüsse im weitesten Sinn: Lärm, Luft, Wasser, Grün-Anteil, aber auch Nachbarschaft, man denke nur an den Unterschied zwischen übervölkerten und verkehrs-belasteten Stadtvierteln und grünen Außenbezirken.

Zuletzt einige wichtige psychologisch-medizinisch-biologische Aspekte: geringe Krankheitsanfälligkeit, keine biologischen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Stoffwechselstörungen u. a. Dazu eine bescheidene bzw. der eigenen Grenzen bewusste Lebensweise. Aber durchaus auch die Möglichkeiten eines gesicherten Einkommens und einer gehobenen sozialen Position. Das ermöglicht nämlich nicht nur eine verbesserte medizinische Betreuung, es sichert auch einen wirkungsvolleren Informationsstand und fördert damit – man kann es nur immer wieder betonen –, ein effektiveres Gesundheitsbewusstsein. Denn dieser Begriff besteht aus zwei Teilen, nämlich nicht nur Gesundheit, sondern auch „sich seiner gesundheitlichen Verpflichtungen bewusst sein“.

So gesehen hat der alte Sinnspruch schon seine Berechtigung:

„Das ganze Geheimnis, sein Leben zu verlängern, besteht darin, es nicht zu verkürzen“ (E. v. Feuchtersleben).

Was kann man selber steuern?

Dass endogen, also biologisch angelegte Faktoren überwiegend schicksalhaft sind, wurde bereits mehrfach erwähnt. Aber auch eine Reihe von exogenen, äußerlichen Aspekten sind nicht ohne weiteres beeinflussbar (siehe oben).

Welche äußeren Aspekte aber sind nun wenigstens bedingt steuerbar? H. Franke verweist auf folgende Empfehlungen der Geroprophylaxe (also vorbeugende Maßnahmen, um ein hohes und möglichst leidensfreies Lebensalter zu erreichen):

- Zum einen eine harmonische Partnerschaft, was heute formal durchaus anders aussehen kann wie früher. In allen Fällen aber ist der Verlust eines Partners eine erhebliche Belastung, vor allem im hohen Alter und hier nicht zuletzt beim männlichen Geschlecht, das mit so einem Schicksalsschlag oft viel schlechter zurechtkommt.

- Auch eine relativ große Nachkommenschaft war früher biologisch positiv, ganz abgesehen von einer mitunter abgesicherten Altersbetreuung und ist heute nicht zuletzt psychologisch wichtig (Enkel: es geht weiter).

- Eine finanzielle Unabhängigkeit ist seit jeher nicht zu unterschätzen, wobei ein Zuviel genau so Probleme bereiten kann („Besitz ist Last“) wie bedrückende Armut.

Und dass die psychologischen Aspekte im Sinne von
- - geistiger Aktivität (unabhängig von der Ausgangs-Intelligenz),
- - guter Anpassung an veränderte Lebensbedingungen (trotz aller Widrigkeiten) und - - einer positiven Stimmungslage (desgleichen)
ein wichtiger Faktor sein können, klang immer wieder an – nicht umsonst.

- Bedeutsam ist aber auch so etwas scheinbar Banales wie die Einhaltung von Ruhepausen, was insbesondere in unserer hektischen Zeit und Gesellschaft offenbar völlig in Vergessenheit geraten ist, wenn nicht gar als unmodern oder lächerlich abqualifiziert wird. Dafür haben dann suspekte Kompensations-Angebote Konjunktur, die vor allem fremde Kassen füllen.

Unverändert empfehlenswert sind dafür seit jeher die von jedermann erlernbaren Entspannungsverfahren wie Autogenes Training, Yoga u. a. Und vor allem ihr konsequenter Einsatz!

Es reichen aber auch zeitlich begrenzte, wenngleich regelmäßige und durchaus unspektakuläre Ruhepausen. Das fängt mit dem erfrischenden Nickerchen an (heute zum Power-Nap hochstilisiert) und geht bis zu echten Erholungs-Ferien, die zumindest eine Zeit lang unterschätzt wurden – bis man merkte, dass der Begriff Reserven vom lateinischen reservare = bewahren kommt.

- Zu den – meist theoretisch strapazierten – Themen Essgewohnheiten, Ernährung und Gewicht sowie Genussmittel, insbesondere Genussgifte soll hier nicht weiter Stellung genommen werden. Jeder weiß, was gemeint ist – und was er eigentlich sollte.

- Zum Schluss aber noch einmal der Hinweis auf die körperliche Aktivität, was in jungen Jahren mitunter zuviel, im mittleren Lebensalter bereits deutlich weniger („keine Zeit“), im Rückbildungsalter aus verschiedenen Gründen nicht mehr und im höheren so gut wie gar nicht mehr praktiziert wird (Herz-Kreislauf, Wirbelsäule und Gelenke). Dabei reicht der „tägliche Gesundmarsch“ von einer halben bis dreiviertel Stunde und dies möglichst bei Tageslicht, da angstlösend, stimmungsstabilisierend und geistig anregend.

Schlussfolgerung

Wie wird man also 100? fragt der moderne Mensch ungeduldig. Er will eine leicht fassbare Gebrauchsanweisung, effektive Instruktion, kurz: ein Rezept, das er nur beim Schicksal einzulösen braucht, dann kommt ja alles von selber.

Dass das nicht so einfach geht, ahnt er schon, zieht aber daraus keine Konsequenzen, sondern wendet sich nur enttäuscht, missbilligend oder ironisch ab. Wieder einmal nur „dummes Geschwätz“, ohne Erfolgsgarantie, immer nur fordern, nichts bieten. Mit so einem Service hält man keine Kunden...

Außerdem: Was soll das Ganze, wenn es doch nur schicksalhaft auf alt-gewordene Eltern ankommt?

Solche entlarvenden Kommentare werden zwar selten ausgesprochen, aber häufig gedacht. Sie sollen vor allem von einem lebensentscheidenden Gebot ablenken: der notwendigen Eigenleistung. „Von nichts kommt nichts“, wer kennt in nicht, wer bezweifelt ihn, diesen alten Sinnspruch.

So auch bei der Frage: Wie werde ich möglichst alt und bleibe geistig, seelisch und körperlich halbwegs rüstig, so gut es meine Bedingungen zulassen – und mein eigener Einsatz.

Literatur

Franke, H.: Auf den Spuren der Langlebigkeit. F. K. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 1985

Franke, H.: Hoch- und Höchstbetagte. Ursachen und Probleme des hohen Alters. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1987

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