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DIE MANISCHE HOCHSTIMMUNG VERSTEHEN LERNEN

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Die Manie ist wie ein Fenster zur Seele (3)

Während drei Wochen hochgestimmter Verfassung eines manischen Patienten lernt man mehr über seine Nöte, Wünsche, Widersprüchlichkeiten, Hoffnungen und sein Wertgefüge als in Monaten nach seiner Genesung in mühevoller psychotherapeutischer Aufarbeitung. Die Manie ist wie ein Fenster, durch das man wertvolle Einblicke erhält in die Persönlichkeit des Betroffenen. Ist der Patient aber wieder gesund, fällt oft ein Vorhang, der die Einsicht in die eigentlichen Beweggründe verwehrt. Deshalb gilt es dem Maniker zuzuhören, auch wenn er "alle über den Haufen redet".

Die Depression ist in aller Munde, von der Manie, der krankhaften Hochstimmung, hört man dagegen kaum etwas. Und das, obgleich dieses Leiden subjektiv zwar weniger quälend, für Patient und Umgebung jedoch ungleich belastender ausfallen kann als die Mehrzahl anderer psychischer Störungen.

Doch ein Maniker ist anstrengend, lästig, entnervend, nicht zuletzt durch seine Redeflut, die sogenannte Logorrhoe. Trotzdem sollte man sich an etwas halten, das bisher kaum Beachtung fand, nämlich die "manische Aussage". Denn hinter jeder endogenen Manie steht nicht nur ein eigenständiges, scheinbar rein biologisch vorgegebenes Krankheitsbild, sondern auch eine individuelle Not, die nicht unwesentlich an Ausbruch, Krankheitsbild und Verlauf beteiligt ist. Leider schaut jeder nur auf das offensichtliche Fehlverhalten und seine Folgen (und tatsächlich lassen einen die Maniker dazu häufig auch keine andere Wahl). Dennoch sollte man sich zwingen, hinter dieser "verrückten Fassade" ein persönliches Problem zu identifizieren. Denn es erleichtert den Zugang zu den psychologischen Hintergründen - und damit das Erkennen, Verstehen und Helfen.

In jeder manischen Phase hat der Patient nämlich ein Thema, manchmal mehrere, aber stets verwandte. Darüber macht er ununterbrochen Aussagen. Man nennt das deshalb die manische Aussage. Es mag bisweilen nicht leicht sein, diese Aussagen zu verstehen. Doch dieses Thema hat über mehrere manische Phasen hinweg eine erstaunliche Beständigkeit. Zwar verliert es durch stete Wiederholung an Prägnanz und schließlich hört keiner mehr hin. Doch es ist das "Fenster zur Seele", verweist auf den Kern seiner Nöte und vermittelt deshalb auch den entscheidenden psychotherapeutischen Zugang.

Zukunftsprojektion und Vergangenheitsbewältigung

Letztlich besteht nämlich die manische Redeflut aus zwei Anteilen:

1. Die Projektion in die Zukunft: Was wäre der Maniker eigentlich gerne geworden und was will er jetzt, insbesondere in seinem manischen Höhenflug verwirklichen, wenngleich meist unsensibel oder gar ohne jede Rücksicht?

2. Vergangenheitsbewältigung: An was ist der Maniker bisher gehindert worden, warum und von wem - und wie will er das jetzt ändern?

Die meisten "unrealistischen" Zukunftsentwürfe des Manikers sind in der Regel geschäftliche Selbständigkeit, großer finanzieller Erfolg, künstlerischer Durchbruch, politische Führerschaft, religiöse Erwähltheit, ideale Liebe, romantische Verklärung bzw. Rettung u. a.

Charakteristisch für die manische Denk- und Handlungsweise ist aber eine fast (selbst-) zerstörerische, weil unflexible Eigenheit: Alles, was man bisher nicht durchzusetzen wagte und endlich durchziehen will, muss rein, unvermengt, kompromisslos realisiert werden - und zwar jetzt. Manie ist die Aufkündigung des Kompromisses, der demütigenden, kleinkarierten, in tausend Zwängen verstrickten Abschwächung des großen Ziels.

Und warum jetzt und in dieser Form? Über die Persönlichkeitsstruktur des Manikers ist viel geforscht und noch mehr gerätselt worden. Ein typischen "Charakterbild" gibt es nicht, wohl aber einige Wesensmerkmale, die immer wieder auftauchen: Aggressionsunterdrückung, Konfliktverleugnung, Verantwortungsgefühl, soziale Angepasstheit und labiles Selbstwertgefühl. Es mag schwer fallen, angesichts eines manischen Auftritts an diese an sich wertvollen, wenngleich der Selbstverwirklichung kaum dienenden Persönlichkeitsmerkmale zu glauben, doch die "manische Aussage" erleichtert den Einblick in die eigentlichen Hintergründe.

So ist das wichtigste Ziel einer konstruktiven Therapie die manische Thematik verstehen zu lernen. Und für einen freieren Lebensabschnitt bezüglich Partnerschaft, Beruf, gesellschaftliche Normen usw. nutzbar zu machen, sobald das manische Krankheitsbild abgeklungen ist. Letzteres wohl am ehesten mit Hilfe medikamentöser Unterstützung: Lithiumsalze, Carbamazepin, Valproinsäure, notfalls Neuroleptika oder gar Benzodiazepin-Tranquilizer.

Patienten mit einer überwundenen Manie aber sollten nicht gedemütigt und damit gebremst, sondern ermutigt werden, aus dem Inhalt ihres Krankheitsbildes Konsequenzen für Ihre Persönlichkeitsentwicklung und das gesamte Leben zu ziehen.

Auch der Maniker muss aus seiner Erkrankung lernen dürfen. Es gibt nicht nur negative Folgen einer Manie. Es kann auch zur Nachreifung kommen. Das sollte allen Beteiligten Mut machen, die psychologischen Hintergründe besser verstehen zu lernen und danach zu handeln. Die manische Aussage hilft dabei, sofern man gewillt ist, trotz Redeflut genau zuzuhören, um die persönlichen Nöte eines Menschen herauszuhören, der scheinbar so gut drauf ist wie noch nie - aber eben nur scheinbar ... (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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