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GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN

Gedächtnisstörungen sind ein komplexes Phänomen, zu dem nicht nur Konzentrationsabfall und Vergesslichkeit gehören, sondern auch Erinnerungsfälschungen, ja eine Steigerung der Erinnerungsfähigkeit u.a.

Gedächtnis und Erinnerung (Fachbegriff: mnestische Funktionen, vom griech.: mneme = Gedächtnis) ermöglichen uns Erfahrenes zu behalten und wieder zu vergegenwärtigen. Neutrales und Belangloses vergessen wir am raschesten. Eine mittlere Position nimmt ein, was uns zuwider ist, verletzt und kränkt. Am längsten bleibt oftmals bestehen, was angenehm berührt (rückblickende Verschönerung). Aktivität, Teilnahme, Interesse, Beteiligung, Freude erleichtern das Erinnern; Müdigkeit, Apathie, depressive Verstimmung erschweren es.

Bis zu etwa einer Stunde nach der Aufnahme einer Erfahrung bleibt die Erinnerung daran labil und ist leicht löschbar, z. B. durch neue Eindrücke, Stress usw. Das nennt man ein labiles Gedächtnis. Was nach einer Stunde noch da ist, kann Jahre, ja lebenslang bleiben. Das nennt man ein stabiles Gedächtnis (siehe später).

Das Gedächtnis setzt sich aus einer Vielzahl von kognitiven Funktionen (vom lat.: cognoscere = erkennen) zusammen, und zwar in Abhängigkeit von Bewusstseinslage, Einstellung, Aufmerksamkeit (Interesse) und Ordnung des Materials. Anatomisch-physiologisch ist es keine umschriebene und örtlich lokalisierbare Hirnleistung, sondern eine vielschichtige Vernetzung, funktionell wie organisch.

Man unterscheidet ein

- Frischgedächtnis (Merkfähigkeit): auch als kurzfristiges (Kurzzeitgedächtnis) bzw. mittelfristiges Gedächtnis bezeichnet. Das Frisch-gedächtnis umfasst die Zeitspanne von etwa 30 bis 60 Minuten. Es ist labiler und störanfälliger.

- Altgedächtnis: auch als Langzeitgedächtnis bezeichnet. Erinnerung an längerdauernde Erfahrungen. Relativ stabil und weniger beeinflussbar.

Zu den Störungen von Gedächtnis und Erinnerung gehören:

Allgemeine (diffuse) Erinnerungsstörungen

Zu den allgemeinen (diffusen) Erinnerungsstörungen zählen:

- Hypomnesie: eingeschränkte, reduzierte Erinnerungsfähigkeit; ein Begriff, der eher für zeitlich begrenzte Gedächtnisstörungen gebraucht wird.
- Amnesie: zeitlich begrenzte Gedächtnislücke, unterteilbar in anterograde, retrograde und andere Amnesie-Formen (siehe später).
- Dysmnesien: verschieden gebraucht, heute nur noch selten, am ehesten zur (heute nicht mehr aktuellen) Bezeichnung des rückbildungsfähigen amnestischen (Korsakow-) Syndroms (= Störungen von Orientierung, Gedächtnis, Konzentration, Wahrnehmung, dabei bewusstseinsklar, jedoch krankheitsuneinsichtig).

Umschriebene Amnesien und Hypomnesien

Zu den umschriebenen Amnesien und Hypomnesien zählen inhaltlich oder zeitlich begrenzte Erinnerungslücken, total oder teilweise. Unterscheidung nach

- einfache Amnesie: für die Zeit rund um das schädigende Geschehen (z. B. Schädel-Hirn-Unfall)
- retrograde Amnesie: für die Zeit (kurz) vor dem schädigenden Ereignis
- anterograde Amnesie: für die Zeit (kurz) nach der schädigenden Ursache

Vorkommen: entweder organisch (z.B. Schädel-Hirn-Unfall), Vergiftung (z. B. auch pathologischer Rausch), bei allen Formen organischer Bewusstseinstrübung oder psychogen (seelisch bedingt und in entsprechenden Ausnahmezuständen wie schwerer Schreck, Angst, Panik, Wut und Verzweiflung). Dort zumeist Bewusstseins-Einengung und danach oft Erinnerungslosigkeit. Möglich auch durch eine "Gedächtnis-Verneinung" aus gemütsmäßigen Bedürfnissen heraus (Erinnerung an das Ereignis verdrängt, "abgespalten").

Hypermnesie

Eine Hypermnesie ist die Steigerung der Erinnerungsfähigkeit.

Vorkommen: Fieberzustände, drogen-bedingt, manchmal auch bei Untergangserlebnissen (z. B. Absturz, "Nah-Todes-Erlebnis") und in der Aura (Vorstadium) epileptischer Anfälle.

Erinnerungsfälschungen, Scheinerinnerungen (Paramnesien)

Erinnerungsfälschungen oder Scheinerinnerungen (Paramnesien) sind spontane oder in irgendeiner Form ausgelöste, suggerierte (eingeredete), absichtliche oder unabsichtliche Änderungen des Erinnerns bzw. rückwirkende Verfälschungen des sogenannten Erinnerungsgutes. Im Einzelnen:

- Fälschung in Derealisation und Wahn: sogenannte Wahn-Erinnerungen = Umänderung des Gedächtnisgutes im Sinne des Wahns oder wenn im Wahn scheinbare Erinnerungen auftauchen, denen kein reales Erlebnis entspricht (Anmerkung: Ein Wahn ist die krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Wirklichkeit, z.B. durch eine Psychose = Geisteskrankheit)

- Pseudologie: "fantastisches Lügen", "Geschichtenerzählen" über das eigene Leben, eigene Taten, besondere Ereignisse. Möglich als Rechtfertigung (Ausrede), als Angeberei, Sich-interessant-Machen u. a. Fliessender Übergang zum offensichtlichen Lügen und Betrügen.

- Konfabulationen: Pseudo-Erinnerungen, Produktion von angeblichen Erlebnissen, um Erinnerungslücken aufzufüllen. Werden von den Kranken für echte Erinnerungen gehalten.

- Vermeintliche Vertrautheit oder Fremdheit: falsches Wiedererkennen, irrige oder vermeintliche Vertrautheit (gelegentlich auch Fremdheit). Das sichere Gefühl, etwas schon einmal gesehen (déjà vu), gehört (déjà entendu), erlebt (déjà vécu), erzählt zu haben (déjà raconté). Aber auch das Gegenteil von allem: noch nie gesehen (jamais vu), noch nie erlebt haben (jamais vécu) usw.

Vorkommen: Erinnerungstäuschungen mit vermeintlicher Vertrautheit oder Fremdheit werden gelegentlich bei (Schläfenlappen-)Epilepsie, ferner bei extremen Erschöpfungszuständen, Vergiftungen, endogenen Psychosen (biologisch verankerten Geisteskrankheiten) u. a. angetroffen. Viele Schein-Erinnerungen stehen aber außerhalb des Krankhaften. Beispiele: gemütsmäßig außerordentlich bewegende Situationen wie akute Verliebtheit, in Schreck und Angst, bei sogenannten Nah-Todes-Erlebnissen, in besonderen Bewusstseinszuständen (spontan oder induziert), beim Hecheln (Fachausdruck: Hyperventilation), durch Suggestion (verbal beeinflussen), in mystischen Ausnahmezuständen (z.B. Indoktrination durch Sekten) usw.

Literatur

Grundlage vorliegender Ausführungen sind:

Faust, V. (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. G.Fischer-Verlag, Stuttgart, Jena, New York 1996

Faust, V., C. Scharfetter: Psychiatrie in Stichworten: Psychopathologie 2. Enke-Verlag, Stuttgart 1998 (s. auch http://www.roche.de/depressionen)

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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